Ein Quar­tier­teil wächst über sich hin­aus

WIFAG-Areal als Leucht­turm­pro­jekt

«Wir bauen heute für 2050», sagt Da­ni­el Trüs­sel, Be­ra­ter für Haus­tech­nik und Ener­gie für die Über­bau­ung an der Wy­ler­ringstras­se in Bern. Für das Leucht­turm­pro­jekt kann der In­ge­ni­eur seine ge­sam­te Ar­beits­er­fah­rung ein­brin­gen und aus der Per­spek­ti­ve der nächs­ten Ge­ne­ra­ti­o­nen den­ken.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich am 24. Mai 2024 auf der Plattform J von Patrick Schmed publiziert.

«Irgendwie hat dieses Treppenhaus auch einen gewissen Industriecharme», schmunzelt Daniel Trüssel, während er an der Wylerringstrasse 25 ein Stockwerk nach dem anderen erklimmt. Rote Bodenfliesen, ein altmodischer Feuerlöscher an der weissen Wand, daneben zwei Lifttüren, eine davon mit einem Schild «Ausser Betrieb» davor, und plötzlich steht man vor der Tür zur Dachterrasse. «Die Dächer werden bei den neu errichteten Gebäuden mehrere wichtige Funktionen haben», erklärt Daniel Trüssel, während er ins Freie tritt.

Wie zu erwarten, sollen auf den Dächern Photovoltaikanlagen montiert werden. «Wir wollen aber auch geeignete Fassaden nutzen und die Panels nach Ost, Süd und West ausrichten, sodass während des ganzen Tages Strom generiert werden kann», informiert der Berater für den Bereich Energie und Haustechnik der Firma DASA Beratungen. Zwischen, unter und neben den Panels gibt es Platz für Biodiversität. «Die Städte haben in dieser Beziehung auch eine Verantwortung», betont Daniel Trüssel. Hier finden Insekten, Vögel, Eidechsen und andere Tiere neuen Lebensraum, daneben sind die Grünflächen aber auch wichtig fürs Klima.

Wo heute Betonplatten und Kies das Erscheinungsbild prägen, werden künftig Gärten spriessen. «Der Kernpunkt ist, dass wir das Wasser auf den Dächern zurückhalten», erklärt Daniel Trüssel. Welche Technik dafür angewandt wird, ist noch nicht klar. Im Gespräch ist ein Bruch aus Tonziegeln aus den abgebrochenen Gebäuden. Dieser kann das Wasser aufsaugen und speichern, ganz nach dem Prinzip der «Schwammstadt Bern», die zur Erreichung der Klimaziele angestrebt wird. Auf dieses Ziel ausgerichtet sind auch die Flächen, die im Innenhof und rund um die Gebäude renaturiert werden sollen.

Das zurückgehaltene Wasser nutzen die Pflanzen, aber es hat noch weitere Zwecke. An heissen Tagen verdunstet das Wasser, und dadurch entsteht ohne weiteres Zutun ein kühleres Raumklima unter dem Dach. Statt das restliche Regenwasser einfach in die Kanalisation zu leiten, wird es in eine riesige Zisterne im bestehenden Untergeschoss geleitet. Hier kann rund eine Million Liter Wasser gespeichert werden und fürs Waschen, für die Toilettenspülung und fürs Giessen zum Einsatz kommen. Doch damit nicht genug.

Aus dem gespeicherten Wasser wird die Wärme entzogen und fürs Heizen verwendet. Ausserdem wird im Winter Wärme aus einem Wärmeverbund mit Aarewasser als Wärmequelle bezogen. Ein neuartiges Prinzip, das die WIFAG-Verantwortlichen zusammen mit den Ingenieuren von eicher+pauli entwickeln. In diesem Bereich kann Daniel Trüssel seine frühere Erfahrung als Wirtschaftsingenieur einbringen, um der Zeit einige Schritte voraus zu sein. Wärme aus dem Wasser zu entziehen, funktioniert nach ähnlichen physikalischen Gesetzen wie die Wärmepumpen an der Luft.

«Die Entwicklung des WIFAG-Areals soll ein Leuchtturmprojekt in Sachen Ressourcen und Effizienz werden», streicht Daniel Trüssel hervor. Katharina Liebherr sieht darin nicht eine kurzfristige Renditechance, sondern ein Generationenprojekt. «Daran mitarbeiten zu können, ist eines der Höhepunkte in meiner Karriere», sagt der Berater Energie und Haustechnik, der als Verwaltungsratspräsident bei eicher+pauli tätig ist. «Wir realisieren hier eine Überbauung, welche den Anforderungen von 2050 entspricht», meint der Ingenieur.

Der Umgang mit Energie und Wasser macht die WIFAG-Überbauung zu einem Paradebeispiel für das Prosumer-Modell. Noch nie gehört, den Begriff? Kein Wunder, denn es gibt bisher nur wenige Projekte, bei denen auf dem Areal ein grosser Teil der benötigten Ressourcen und Energieflüsse selbst generiert werden. Gerade bei Grossbauten sind solche «Eigenverbrauchsgesellschaften» noch kaum bekannt. Möglich macht dies unter anderem die Bauweise nach «Minergie P ECO», dem höchstmöglichen Standard für Gebäudedämmungen.

Zum grossen Ganzen auf dem WIFAG-Areal gehört auch der Umgang mit dem Abbruchmaterial. Möglichst viel davon soll für die neuen Gebäude wiederverwendet werden. Beim Untergeschoss ist es sogar so, dass dieses zur Gänze erhalten werden kann. «Wir haben 3D-Scans gemacht und gesehen, dass die Substanz unter dem Boden in tadellosem Zustand ist», macht Daniel Trüssel bewusst. Grund dafür ist die Qualität der Bauten, die wegen der WIFAG-Druckmaschinen erschütterungsfrei sein musste, auch wenn Züge vorbeirollten.

Dass die rund 50’000 Tonnen Beton im Boden bleiben, hat für die Quartierbewohnerinnen und -bewohner einen erfreulichen Nebeneffekt. «Wir gehen davon aus, dass rund 4500 Lastwagenfahrten wegfallen», freut sich der Berater für Haustechnik und Energie über die gesellschaftlichen und ökologischen Vorteile der Substanzerhaltung. Im Planungsprozess an solche Zusammenhänge zu denken und diese konsequent zu verfolgen, ist zwar aufwendig und zeitraubend, aber auch sinnvoll und zukunftsweisend.

Auch damit lässt sich der breite Konsens erklären, der in Sachen WIFAG-Areal besteht und eine gute Ausgangslage für die städtische Abstimmung vom 9. Juni bietet. Dann befindet die Stadtbevölkerung nämlich über die Änderung der Überbauungsordnung, mit welcher das Projekt von der Planungs- in die Umsetzungsphase gehen kann. Denn Industriecharme hin oder her – für die Stadt Bern ist die Umwandlung in ökologisch wertvollen, gut erschlossenen und stadtnahen Wohnraum eine Zukunftsvision, die nicht nur aus der Vogelperspektive vielversprechend wirkt.

Daniel Trüssel über den Dächern des Quartiers – die Flachdächer erhalten eine wichtige Bedeutung in der Überbauung.
Daniel Trüssel über den Dächern des Quartiers – die Flachdächer erhalten eine wichtige Bedeutung in der Überbauung.

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