«In der Schweiz nutzen wir unser grosses Potenzial deutlich zu wenig aus.»
Interview mit Martin Balmer, unser Experte für nachhaltiges Bauen
Nachhaltiges Bauen ist weit mehr als energieeffiziente Technik oder ökologische Materialien. Es bedeutet, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu betrachten. Martin Balmer, unser Experte Bau, spricht im Interview über Suffizienz, Kreislaufwirtschaft und die Verantwortung, die wir alle tragen. Er erklärt, warum weniger oft mehr ist und wieso die Schweiz noch ungenutztes Potenzial hat.
Lieber Martin, Du beschäftigst dich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeit und Bauen. Was hat dich ursprünglich dazu motiviert?
Das Thema hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Motiviert hat mich in meiner Lehrzeit als Heizungszeicher das Thema Energiesparen und die damit verbundenen Themen wie alternative Heizsysteme und Solaranlagen. Ende der 80er-Jahre natürlich keine Selbstverständlichkeit. Damals hat niemand von nachhaltigem Bauen gesprochen. Früher hiess dies «ökologisch Bauen» bzw. «möglichst wenig Energie zu verbrauchen». Die Nachhaltigkeit als Ganzes mit den drei Säulen «Gesellschaft», «Wirtschaft» und «Umwelt» hat sich erst im Laufe der Zeit zu dem entwickelt, was wir heute darunter verstehen.
Wo siehst Du denn aktuell Herausforderungen und Chancen für die Schweiz?
Ich bin der Überzeugung in der Schweiz nutzen wir unser grosses Potential deutlich zu wenig aus. Technologien sind vorhanden. Allerdings ist das nachhaltige Bauen nicht primär von neuen und grossen Technologien abhängig (Thema Suffizienz). Grössere Rücksichtnahmen, Kompromissbereitschaft und etwas mehr Demut täten auch dem nachhaltigen Bauen gut.
In der Schweiz fehlt oft der ganzheitliche Ansatz. Verschiedene Stakeholder arbeiten nicht nach dem Cradle-to-Cradle-Konzept. Oft werden auch falsche bzw. halbwahre Annahmen mit dem Begriff Nachhaltigkeit oder Kreislaufwirtschaft assoziiert. Ein Beispiel: wenn ich über Kreislaufwirtschaft spreche, lautet die Antwort manchmal «Nein danke, ich möchte keine Re-use WC-Schüssel in meinem Projekt!»
Die grösste Chance sehe ich, wenn Gebäude nach dem Prinzip der Lebenszykluskosten geplant, gebaut und betrieben würden. Es braucht eine Betrachtung über den gesamtes Lebenszyklus (z. B. Flexibilität, Systemtrennung) hinweg.
Also Stichwort Kreislaufwirtschaft, vom Abfall zur Ressource?
Ja, es geht darum Materialien in Gebrauch zu halten. Wichtig ist hier vor allem die konsequente Umsetzung der Systemtrennung. Gebäudeteile unterschiedlicher Lebensdauer müssen ersetzt und erneuert werden können. Materialien sollten möglichst sortenrein wieder rückgebaut werden können.
Solange die Kreislaufwirtschaft kein Selbstläufer ist (dies würde möglicherweise geschehen, wenn das Bauen von den Lebenszykluskosten getrieben wäre), ist sie aktiv zu planen. Noch wichtiger als die Planung, ist die Besteller-Kompetenz und die Bestellung der Auftraggeber.
Wie bewertest Du in diesem Kontext die Rolle der Suffizienz im Bauwesen?
Suffizienz stammt aus dem lateinischen sufficientia und bedeutet so viel wie „Genügsamkeit“. Also «weniger ist mehr». Mir scheint wichtig, dass das Wort nicht negativ behaftet wird. Suffizienz bedeutet im nachhaltigen Bauen nicht, dass wir mit 16°C Raumtemperatur zufrieden sein müssen. Es ist nicht ein Rückschritt in die Steinzeit. Vielmehr gilt es zu überlegen, was ist überflüssig und nicht notwendig. Die grossen Themen sind sicherlich der persönliche Wohnflächenbedarf, sowie der Flächenverbrauch im Zusammenhang mit der Raumplanung. In Bezug auf die Technik, wäre oft ein Low-Tech-Ansatz zu verfolgen. Das ist meistens kein Nachteil (auch betreffend Komfort nicht) und es resultieren daraus oft sogar tiefere Lebenszykluskosten.
Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft: Wie sehen deiner Meinung nach die Gebäude der Zukunft aus – in 10 oder 20 Jahren?
Die Gebäude sehen vereinzelt immer noch so aus, als gäbe es kein Morgen. Als Beispiel entstehen immer noch hochverglaste Neubauten mit ungenügendem Sonnenschutz. Ich denke man wird den Gebäuden, aber auch dem öffentlichen Raum wieder vermehrt die Herausforderungen der heutigen Zeit und somit auch das nachhaltige Bauen und die Kreislaufwirtschaft ansehen. Dies war auch bereits in früheren Epochen so, ohne zwingend Abstriche in der Architektur oder Funktionalität machen zu müssen.
Welchen Beitrag leistet eicher+pauli konkret, um diese Zukunft mitzugestalten?
Klassischerweise arbeiten wir tagtäglich an energieeffizienten und zukunftsgerichteten Lösungen und leisten so einen wichtigen Beitrag in der Umsetzung der Klimastrategie und Vorgaben zur CO₂-Reduktion. Im Bereich Bauherrenberatung sprechen wir die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft an. Wir zeigen Chancen und Risiken auf, erstellen detaillierte Berechnungen im Bereich graue Energie und/oder Treibhausgasemissionen, unterstützen in der Umsetzung eines Gebäudestandards sowie helfen Unternehmen in der Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie.
Nun zum Schlusswort: Was wünschst du dir in Bezug auf das Bauen der Zukunft?
Wir sollten etwas Fahrt aufnehmen um gemeinsam die grossen Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Biodiversität umzusetzen. Verzögerungen in der Umsetzung geeigneter Massnahmen werden in Zukunft nur noch mehr Geld kosten. Wir sollten also dringend an Geschwindigkeit gewinnen.
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Mehr zu nachhaltigen Bauprojekten finden Sie in unserer Referenzübersicht.
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